Milo Moiré’s Performance-Serie Ceci n’est pas une femme nue („Dies ist keine nackte Frau“) dokumentiert die erweiterte Realität (engl.: augmented reality (AR)) rudimentär und gleichsam zukunftsweisend. Wir leben in einer Welt voller computerbasierter Abbilder. Wir bevorzugen oft den Blick auf das digitale Bild, statt das unmittelbare Original mit all unseren Sinnen begreifen zu wollen. Dies bedeutet eine veränderte Grammatik der Wahrnehmung. Durch neue Technologien wie Smartphones haben wir unsere Realität erweitert. Das Zeitalter einer sichtbaren neuen Wirklichkeit ist angebrochen.
Bei ihrer Performance besucht Moiré mit einer aufgesetzten VR-Brille (virtual reality) diverse bedeutende Kunstausstellungen wie beispielsweise die Documenta 14 in Kassel. Sie ist dabei nackt. Auf ihrem Hintern und Schambereich stehen Binärcodes bestehend aus den Ziffern 0 und 1 für das Wort „Digitized“ (digitalisiert). Der Satz „Ceci n’est pas une femme nue“ ist auf Moiré’s Schulterpartie und Brustbereich zu lesen. Die Künstlerin blickt mit der VR-Brille auf ein direkt vor ihren Augen befindliches Iphone. Es ist ein indirekter, virtueller Blick auf die Kunstwerke versehen mit Zusatzinformationen wie den Koordinaten. Dabei können Facebook-Zuschauer in Echtzeit die digitalen Bewegtbilder aus Moiré’s VR-Brille verfolgen und kommentieren. Eine zweite Kamera filmt die Künstlerin dabei aus der Aussenperspektive.
„Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann“, stellte der surrealistische Maler René Magritte klar. Im Jahre 1928 malte er ein Bild von einer Pfeife und schrieb ins Gemälde “Ceci n’est pas une pipe“ (zu Deutsch: „Dies ist keine Pfeife“). „Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen“, erklärte Magritte.
Fast genau 90 Jahre später befinden wir uns mitten in einer tiefgründigen Revolution. Unser Blick auf die Welt hat sich vollkommen geändert. Statt wie die Surrealisten Traum und Wirklichkeit zu verschmelzen, erweitern wir heutzutage unsere reale Welt durch virtuelle Aspekte. Magritte’s Pfeife ist aktueller je. Dies führt uns Moiré mit ihrer Performance „Ceci n’est pas une femme nue“ zeitgemäss vor Augen.
Wir erblicken durch digitale Medien eine nackte Frau, doch ihre Haut lässt sich nicht streicheln. „Ceci n’est pas une femme nue“ wirft die Frage auf: „Wie verändert sich der öffentliche Raum, wenn jetzt der digitale Raum gleichsam den öffentlichen Raum ersetzt bzw. überformt? Wenn sich die digitale Nackte vor die optisch Nackte schiebt? Löst die Vervielfältigung und Verbreitung im digitalen Raum eine Auflösung im realen Raum aus?
Menschen sind in Echtzeit am Bildschirm vernetzt und erfassen über das Auge hinaus zusätzliche Informationen. Der reale Körper verschiebt sich in den digitalen Raum. Hat dies zur Folge das wir uns in der erweiterten Realität isolieren? Durch die Erweiterung uns paradoxerweise in unseren Körpern gefangen fühlen? Oder lösen wir den Körper letztlich bis zur Unkenntlichkeit im digitalen Raum auf? „Ceci n’est pas une femme nue“. Wirklich?!